40 Jahre Evangelische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Dr. Gunther Wenz
Mai 2007
Auf ihrer Tagung im März dieses Jahres in Ansbach beschlossen die Synodalen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern mit breiter Mehrheit die Annahme eines Zusatzprotokolls zum Staatsvertrag zwischen Landeskirche und Freistaat Bayern, das die Neustrukturierung der Ausbildung evangelischer Theologen an bayerischen Universitäten regelt. Durch diese Vertragsergänzung, die zuvor bereits von Ministerpräsident Edmund Stoiber und Landesbischof Johannes Friedrich unterzeichnet worden war, wurde der Bestand der Evangelisch-Theologischen Fakultäten in Erlangen und München als Zentren für Forschung und Lehre mit je spezifischen Schwerpunkten gefestigt und ihre Stellung in der Religionslehrerausbildung gestärkt. Ein Studium für das Lehramt an Gymnasien wird künftig nur noch in Erlangen und München möglich sein. Zwar ließen sich bei der Entwicklung einer nachhaltigen Gesamtkonzeption für die evangelische Universitätstheologie in Bayern schmerzliche Einschnitte nicht vermeiden. Sie betrafen insbesondere die Stellung der evangelischen Theologie an nichttheologischen Fakultäten. Gleichwohl ist der zuständigen Oberkirchenrätin, Frau Dr. Dorothea Greiner, in dem Urteil zuzustimmen, dass das Zusatzprotokoll einen entscheidenden Schritt zur Sicherung und Fortentwicklung evangelischer Theologie im Kontext von Wissenschaft, Gesellschaft und Kirche in Bayern darstellt.
Die Reform der bayerischen Hochschullandschaft, in welche die evangelische Theologie durch den Ergänzungsvertrag strukturell eingebunden ist, setzt in hohem Maß auf Profilbildung der einzelnen Lehr- und Forschungseinrichtungen. Als mein Vorgänger auf einem der beiden Lehrstühle für Systematische Theologie, Wolfhart Pannenberg, vor zwei Jahrzehnten gebeten wurde, aus der Sicht des Instituts für Fundamentaltheologie und Ökumene einen Rückblick auf zwanzig Jahre Fakultätsgeschichte zu geben, hob er drei über die Systematische Theologie im engeren Sinne hinaus für die Münchener Evangelisch-Theologische Fakultät kennzeichnende Aspekte hervor. An erster Stelle nannte er das Bemühen um eine modernitätsspezifische Gestalt des Christentums und der christlichen Lehre. Als zweiter Gesichtspunkt wurde die Verbindung von Modernität und Kirchlichkeit und das engagierte Interesse an den kirchlichen Lebensformen neuzeitlichen Christentums erwähnt. Schließlich hob Pannenberg drittens die enge Beziehung zur Philosophie und die intensive Auseinandersetzung mit dem philosophischen, insbesondere dem metaphysischen Erbe hervor, welche die Beschäftigung mit der Theologiegeschichte nicht nur in der Dogmatik, sondern auch in den anderen Disziplinen präge. Insgesamt sei seit ihrer Gründung im Jahr 1967 eine Fakultät mit einem klaren Profil entstanden, für das die Verbindung von Liberalität und Pflege geschichtlicher Kontinuität bestimmend sei.
Diese Charakteristik hat trotz aller seither eingetretenen Veränderungen nach wie vor ihre Gültigkeit. Sie verweist im Übrigen auf Wesenselemente, die keineswegs Münchener Sondergut darstellen, sondern für jede Form akademischer Theologie obligat sind. Akademische Theologie ist nicht lediglich der Kirche, sondern ebenso der Universität und der universitas litterarum verpflichtet. Dies hat in vieler Hinsicht und nicht zuletzt deshalb seine Richtigkeit, weil christlicher Glaube und wissenschaftliche Vernunft in keinem Gegensatz stehen, sondern aufeinander verweisen. Dies aufzuzeigen, ist eine wesentliche Aufgabe der Theologie. Als Reflexionsgestalt historischen Christentums weiß sie sich Kirche und Wissenschaft gleichermaßen verbunden. Nicht von ungefähr gehört die Theologie neben den Rechtswissenschaften und der Medizin von Anbeginn zur europäischen Universität.
An der Ludwig-Maximilians-Universität München, der unlängst ein akademischer Elitestatus zuerkannt wurde, sind alle großen christlichen Traditionen vertreten. Neben der Katholisch-Theologischen gibt es seit nunmehr vierzig Jahren eine Evangelisch-Theologische Fakultät und neuerdings auch eine Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie. Daraus ergeben sich viele Möglichkeiten konstruktiver ökumenischer Zusammenarbeit. Auch ansonsten bietet die LMU eine Fülle von Chancen interdisziplinärer Kooperation. Theologen sind an der Lehre in vielen Disziplinen beteiligt und forschen zusammen mit Philosophen, Historikern, Soziologen und Psychologen oder im medizinethischen Bereich. Neben der Mitwirkung in einem eigenen religionswissenschaftlichen Studiengang, der den nichtchristlichen Religionen die gebührende Aufmerksamkeit widmet, bildet die Evangelisch-Theologische Fakultät künftige evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Religionslehrerinnen und –lehrer aus.
Die Studierenden der evangelischen Theologie haben sich vornehmlich mit den exegetisch-historischen Fächern der alt- und neutestamentlichen Wissenschaft sowie mit der antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Kirchengeschichte, mit der Systematischen Theologie in Form von Dogmatik und Ethik und mit der Praktischen Theologie auseinanderzusetzen. Wichtigste Lernziele sind kritisches Verständnis und gedankliche Durchdringung der religiösen Sinngehalte des Christentums und des evangelischen Glaubens in Geschichte und Gegenwart. München und die Eliteuniversität der LMU bieten hierfür vorzügliche Rahmenbedingungen: Wer wissenschaftlich anspruchsvoll und in einer Atmosphäre urbaner Weltoffenheit evangelische Theologie studieren möchte, ist in der Münchener Schellingstraße 3 an der richtigen Adresse.
Aus der Gründungszeit der Fakultät
Der am 1. Oktober 1967 erfolgten formellen Errichtung einer Evangelisch-Theologischen Fakultät an der LMU waren langwierige Verhandlungen vorangegangen, die am 20. Juni 1967 zur Unterzeichnung eines die geplante Fakultätsgründung betreffenden Vertrags zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche führten. Zur offiziellen Aufnahme von Lehr- und Forschungstätigkeiten an der neu gegründeten Fakultät kam es im Sommersemester 1968. Die ersten Vorlesungen fanden am 2. Mai in Hörsaal 302 des Universitätshauptgebäudes statt. Gleichzeitig wurden die Seminarveranstaltungen und Sprachkurse in den Räumen an der Georgenstraße 7 aufgenommen. Dort und im ehemaligen Gebäude des Studentenwerks in der Veterinärstraße 1 fanden die Bibliotheks- und Verwaltungsräume eine provisorische Bleibe, bis Jahre später das neu errichtete Gebäude an der Schellingstraße 3 bezugsfertig war. Die erwarteten und von der Fakultäts- und Universitätsleitung bereits vorbereiteten akademischen Eröffnungsfeierlichkeiten mussten wegen anhaltender und eskalierender Studentenunruhen unterbleiben.
Mittlerweile sind die Zeiten ruhiger geworden. Die Evangelisch-Theologische Fakultät der LMU hat ihre Reifeprüfung längst hinter sich und ist inzwischen dabei, in ein historisches Verhältnis zu sich selbst zu treten, wie das ab dem vierzigsten Jahr einer Existenz angemessen ist. Als jung hat die Fakultät gleichwohl noch zu gelten, wenn man dem einleuchtenden Grundsatz folgt, dass der Jugend angehört, wer mit einiger Wahrscheinlichkeit erwarten darf, doppelt so alt zu werden, wie er bereits ist. Fügt man hinzu, dass sich die Zeit von Fakultäten und Universitäten nur sehr bedingt nach Menschenalter bemessen lässt, welches sie in der Regel erheblich übertreffen, dann darf man berechtigterweise die Hoffnung äußern, dass es eine Evangelisch-Theologische Fakultät an der Münchener LMU auch noch am Ende des 21. Jahrhunderts geben wird.
Bereits Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es Stimmen, die sich für die Errichtung einer zweiten evangelisch-theologischen Landesfakultät in Bayern neben Erlangen aussprachen. Zur Begründung wurden u.a. die in Südbayern während der Nachkriegszeit stark angewachsenen protestantischen Bevölkerungsteile angeführt. Auch auf die zentrale Bedeutung Münchens als Landeshauptstadt sowie auf die dort und im Umland sich bietenden ökumenischen Herausforderungen hat man verwiesen. Doch gab es auch nicht unerhebliche Widerstände, etwa von Seiten der Erlanger Fakultät, neben die bereits mit der im Jahre 1947 gegründeten Augustana-Hochschule in Neuendettelsau eine weitere Ausbildungsstätte für evangelische Theologie getreten war.
Zusammenfassend formuliert sind die Bedenken, die in landeskirchlichen Kreisen teilweise geteilt und unterstützt wurden, in einem kritischen Memorandum, das im Juni 1963 dem zuständigen Staatsministerium und dem Landeskirchenrat vorgelegt wurde. In der Folge kam es zu kontroversen Debatten, bis sich die kirchenleitenden Organe schließlich doch für die Unterstützung des Neugründungsplans aussprachen. Unter den entschiedenen Befürwortern in der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist vor allem der Zahnmediziner Prof. Dr. Kurt W. Lentrodt hervorzuheben, dessen unermüdliches und nachhaltiges Engagement wesentlich zum Erfolg der Unternehmung beigetragen hat. Nachdem seitens der Kirche grünes Licht gegeben war, erteilten auch die staatlichen Instanzen ihre Zustimmung. Gemäß einer Vorlage der Regierung setzte der Landtag des Freistaates Bayern für den Etat des Jahres 1966 Mittel zum Zweck der Errichtung und Anschubfinanzierung einer Evangelisch-Theologischen Fakultät in München ein. Der erste Schritt zur Neugründung war damit getan. Der Wissenschaftsrat gab seine nachträgliche Zustimmung.
Die Integration eines evangelisch-theologischen Fachbereichs in die Fakultätsgemeinschaft der LMU verstand sich in Anbetracht der Universitätsgeschichte keineswegs von selbst. In ihrer ersten Blütezeit in Ingolstadt während des 16. Jahrhunderts war die bayerische Landesuniversität ein Hort der Reformationskritik und der Gegenreformation. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich der Senat der Universität nach Befragung aller Fakultäten und insbesondere auf das Votum der Katholisch-Theologischen Fakultät hin nicht nur für den Errichtungsplan aussprach, sondern von sich aus einen Antrag auf seine Realisierung stellte. Ohne diesen Antrag, mit dem der Münchener Universitätssenat bereits im Juli 1964 an das Bayerische Kultusministerium herangetreten war, und ohne die eindeutige Befürwortung von Seiten der Katholisch-Theologischen Fakultät wäre das Unternehmen, das auch danach noch mehrfach auf der Kippe stand, wohl kaum verwirklicht worden.
Im Juni 1967 konnte im damaligen Staatsministerium für Unterricht und Kultus ein Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern über die Errichtung einer Evangelisch-Theologischen Fakultät an der LMU zum 1. Oktober des Jahres unterzeichnet werden. Der Freistaat war durch Staatsminister Ludwig Huber, die Kirche durch Landesbischof Hermann Dietzfelbinger vertreten, der damals auch den Vorsitz des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland innehatte. Minister Huber unterstrich in seiner Ansprache aus Anlass der Unterzeichnung die elementare Zugehörigkeit evangelischer Theologie zur Universität und hob ausdrücklich die Bedeutung hervor, welche dem Wissenschaftsstandort München für ökumenische Forschung und Lehre zukommt. Landesbischof Dietzfelbinger hatte seine Erwartungen an die in Planung begriffene Münchener Fakultät bereits im Sommer 1966 anlässlich einer Sendung des Bayerischen Rundfunks umrissen und dabei ebenfalls den ökumenischen Aspekt besonders akzentuiert.
Die Planung des künftigen Aufbaus der Fakultät war bereits vor Unterzeichnung des Staatsvertrags in ihr entscheidendes Stadium eingetreten. Im Frühjahr 1966 wurde ein Berufungsausschuss eingesetzt, der Vorschläge für die Besetzung der ersten fünf genehmigten Lehrstühle erstellen sollte. Diesem Ausschuss gehörten zwei Vertreter der Universität München an, darunter der amtierende Prorektor, der den Vorsitz führte, ferner Kurt Frör als Vertreter der Erlanger Theologischen Fakultät sowie namhafte Repräsentanten theologischer Hauptdisziplinen wie Gerhard von Rad, Joachim Jeremias und Helmut Thielicke. Aufgrund der vom Ausschuss vorgeschlagenen und vom Münchener Universitätssenat befürworteten Listen ergingen im Herbst 1966 für die fünf klassischen theologischen Disziplinen folgende Rufe: Hans-Walter Wolff, Altes Testament; Leonhard Goppelt, Neues Testament; Georg Kretschmar, Kirchengeschichte; Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie; Peter Krusche, Praktische Theologie. Die Finanzierung von fünf weiteren Lehrstühlen wurde für den staatlichen Haushalt des Jahres 1968 in Ansatz gebracht und auch bewilligt. Geplant war, die Fakultät in zwei bis drei Stufen auf insgesamt dreizehn bis vierzehn Lehrstühle auszubauen, nämlich je zwei für die fünf klassischen Disziplinen, einen Lehrstuhl für Missions- und Religionswissenschaft sowie zwei Sonderlehrstühle etwa für Konfessionskunde und Ökumene oder für Sozialethik.
Die ersten Berufungsverhandlungen kamen im Spätsommer 1967 zum Abschluss. Kretschmar, Krusche und Goppelt hatten die an sie ergangenen Rufe angenommen. Nach ihrer Ernennung konnte die Fakultät am 1. Oktober konstituiert werden. Bald danach fand die erste Fakultätssitzung statt. An ihr nahmen die bereits ernannten Professoren und Wolfhart Pannenberg teil, der noch in Verhandlungen stand und den Ruf erst Anfang November 1967 annahm, sowie Klaus Baltzer, an den der Ruf auf den Lehrstuhl für Altes Testament ergangen war, nachdem Hans-Walter Wolff und später Hans-Joachim Kraus abgesagt hatten. Die Versammelten wählten Prof. Goppelt zum Dekan und Prof. Kretschmar zum Prodekan und Wahlsenator. In weiteren Sitzungen wurden Berufungsvorschläge für die bereits genehmigten fünf weiteren Lehrstühle beschlossen und der Beginn der Lehrtätigkeit im Sommersemester 1968 geplant.
Im ersten Vorlesungsverzeichnis sind neben einer Erklärung ausgewählter Psalmen von Gerhard von Rad, der als Gastprofessor gewonnen werden konnte, u.a. folgende Lehrveranstaltungsthemen benannt: Texte zur Geschichte der Prophetie (Klaus Baltzer); Römerbrief (Leonhard Goppelt); Geschichte der Alten Kirche (Georg Kretschmar); Die Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung (Wolfhart Pannenberg); Die Relevanz kirchlicher Strukturen für das Studium der Theologie (Peter Krusche). Nach geraumer Zeit konnten drei der laufenden Berufungsverfahren zu einem positiven Abschluss gebracht werden: Harald Hegermann wurde zweiter Ordinarius für Neues Testament, Trutz Rendtorff Inhaber des zweiten Lehrstuhls für Systematische Theologie und Horst Bürkle ordentlicher Professor für Religions- und Missionswissenschaft. Später ging der zweite Lehrstuhl für Praktische Theologie an Christoph Bäumler und für Kirchengeschichte an Reinhard Schwarz. Ein dritter Lehrstuhl für Systematische Theologie, der in Forschung und Lehre speziell auf die lutherische Theologie und die Dogmatik der Wittenberger Tradition ausgerichtet sein sollte, wurde mit Jörg Baur besetzt.
Die Fakultät heute
Gegenwärtig gibt es an der Münchener Evangelisch-Theologischen Fakultät sieben Abteilungen, denen zwölf Professuren zugeordnet sind: für Alttestamentliche und Neutestamentliche Theologie, für Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Fundamentaltheologie und Ökumene, Praktische Theologie sowie für Missions- und Religionswissenschaft. Im Alten Testament lehren die Proff. Christoph Levin und Eckart Otto. Schwerpunkte der Arbeit von Levin, der das Amt des Studiendekans der Fakultät bekleidet, sind die Literaturgeschichte des Alten Testaments, Geschichte und Religionsgeschichte Israels sowie Theologie und Hermeneutik des Alten Testaments. Forschungsschwerpunkte Ottos, der als geschäftsführender Direktor des Evangelisch-Theologischen Seminars amtiert und neulich ein Ehrendoktorat der Universität Pretoria erhalten hat, sind die literaturhistorischen Rekonstruktionen der alttestamentlichen Basisüberlieferungen, vorrangig des Penta- bzw. Hexateuchs und des sog. Deuteronomistischen Geschichtswerks, sowie Untersuchungen zu den alttestamentlichen Gesetzescorpora in Vergleich mit den Rechtsüberlieferungen insbesondere im hethitischen, babylonischen und neuassyrischen Reich.
Am Institut für Neues Testament ist die Nachfolge von Prof. Alexander Wedderburn, der in den Ruhestand getreten ist, derzeit noch offen. Das Berufungsverfahren läuft. Die Hauptinteressen von Prof. Jörg Frey, Forschungsdekan der Fakultät, richten sich vor allem auf den historischen Jesus, das johanneische Schrifttum unter besonderer Berücksichtigung des vierten Evangeliums, zu dem längerfristig ein ausführlicher Kommentar unter breiter Einbeziehung der Auslegungs- und Wirkungsgeschichte entstehen soll, sowie auf die Literatur und Eigenart des antiken Judentums in der Zeit des Zweiten Tempels (Apokalyptik, Qumran etc.). Selbstverständlich werden in der neutestamentlichen und der alttestamentlichen Wissenschaft wie in allen anderen Disziplinen Lehrveranstaltungen zur Gesamtthematik des jeweiligen Fachs angeboten.
Das Fach der Kirchengeschichte wird in München durch die Proff. Klaus Koschorke und Harry Oelke vertreten. Koschorke erforscht vorrangig zwei Bereiche: einerseits die Patristik, also den klassischen Bereich der ersten sechs Jahrhunderte der Kirchengeschichte, andererseits die außereuropäische Christentumsgeschichte in Asien, Afrika und Lateinamerika vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Letzterer Forschungsaspekt hat angesichts der dramatisch veränderten ökumenischen Rahmenbedingungen erheblich an Bedeutung gewonnen; leben doch gegenwärtig bei steigender Tendenz ungefähr sechzig Prozent der christlichen Weltbevölkerung in der südlichen Hemisphäre. Kollege Oelke, der die Kirchengeschichte für den Zeitraum vom Mittelalter bis zur Neuzeit behandelt, ist Spezialist für die Epoche der Reformation und des sich anschließenden Konfessionellen Zeitalters sowie für die Kirchliche Zeitgeschichte. Reformations- und konfessionsgeschichtliche Fragestellungen haben für die evangelische Theologenausbildung nach wie vor eine hohe, identitätsstiftende Bedeutung. Die von Oelke geleitete Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte ist an der Fakultät mit ihrer „Forschungsstelle“ präsent. Schwerpunktmäßig wird hier die nationalsozialistische Zeitspanne in Projekten zur NS-Kirchenpolitik, zu Landesbischof Hans Meiser und im Rahmen eines Ausstellungsvorhabens zum christlich motivierten Widerstand gegen den Nationalsozialismus erforscht; die Zeit nach 1945 steht in Projekten zur Übersiedlung kirchlicher Mitarbeiter in die SBZ/DDR sowie zu den Protokollen des Rates der EKD (1949-55) im Blickpunkt des Interesses. Neuerdings gewinnen die 1960er und 70er Jahre und die Rolle des Protestantismus im gesellschaftlichen Wandel jener Zeit an Bedeutung für die Forschungsstelle.
Die Systematische Theologie ist üblicherweise in die Fächer Dogmatik, Ethik und Religionsphilosophie differenziert. Dogmatik untersucht die Geschichte christlicher Überlieferungsbestände in der konstruktiven und kritischen Absicht, ihre Relevanz für das gegenwärtige Wahrheitsbewusstsein zu erheben. Theologische Ethik dient der wissenschaftlichen Reflexion durch sittliche Maximen geleiteter menschlicher Lebensführung im Kontext christlicher Tradition. Religionsphilosophie bestimmt den Begriff der Religion in seinem Verhältnis zu vernünftiger Theorie und Praxis zum Zwecke einer kategorialen Analyse des religiösen Bewusstseins und seiner Vorstellungsgehalte. Die Forschungstätigkeit von Prof. Jan Rohls ist primär religionsphilosophisch und auf die Pflege der reformierten Theologietradition ausgerichtet. In einem Sonderforschungsbereich zu Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit hat er jüngst das Verhältnis von Philosophie und reformierter Theologie im sog. Goldenen Zeitalter der Republik der Vereinigten Niederlande bearbeitet, die seit dem Ende des 16. und während des ganzen 17. Jahrhunderts ein intellektuelles Zentrum Europas war. Am Lehrstuhl von Prof. Friedrich Wilhelm Graf wird Systematische Theologie mit einem ethischen Schwerpunkt und in der Absicht betrieben, die traditionellen Arbeitsfelder der Disziplin im Rahmen einer historischen Kulturwissenschaft und in konsequenter Öffnung für andere wissenschaftliche Disziplinen neu zu konzipieren. Einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt stellt neben der Kooperation mit dem Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften sowie anderen Gremien und Wissenschaftsorganisationen die umfassende Erforschung des Werkes von Ernst Troeltsch dar. Graf, der als erster evangelischer Theologe den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten hat, publiziert regelmäßig in SZ, FAZ und NZZ und hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Fakultät als eine der drittmittelstärksten theologischen Fachbereiche der Republik gelten darf.
Dem Systematiklehrstuhl des Autors dieses Beitrags, der gegenwärtig als Dekan der Fakultät amtiert, ist das Institut für Fundamentaltheologie und Ökumene zugeordnet. Schwerpunkte sind die Dogmatik unter besonderer Berücksichtigung der lutherischen Bekenntnistradition im Kontext neuzeitlicher Religionskultur sowie ökumenische Theologie. Die Münchener Ludwig-Maximilians-Universität ist in der vorteilhaften Lage, dass an ihr die Theologien aller großen christlichen Konfessionen vertreten werden. Um die Zusammenarbeit zu koordinieren, wurde vor einiger Zeit eigens ein Zentrum für ökumenische Forschung gegründet, das von den Proff. Athanasios Vletsis (orth.), Bertram Stubenrauch (röm.-kath.) und Gunther Wenz (evang.) gemeinsam geleitet wird, ohne dass dadurch die institutionelle Selbständigkeit der jeweiligen Lehreinrichtungen tangiert würde.
Kein Geringerer als Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher hat die Praktische Theologie zur Krone der theologischen Wissenschaft erklärt. Am Lehrstuhl für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, dem eine Forschungsstelle für Jugend und Kirche angegliedert ist, wird historische, empirische und konzeptionelle Forschungsarbeit in dem Bewusstsein geleistet, dass evangelischer Religionsunterricht kein Fach wie jedes andere ist, weil ihm nicht nur die Klärung von Wissensfragen, sondern Bildungsthemen aufgegeben sind, die es in besonderer Weise mit Sinn- und Orientierungsfragen zu tun haben. Um dieser Bildungsaufgabe entsprechen zu können, bedarf es eines differenzierten Verständnisses jugendspezifischer Religiosität. Ein solches Verständnis durch Forschung und Lehre zu befördern, ist ein besonderes Anliegen von Prof. Ulrich Schwab. Ein zweiter Lehrstuhl für Praktische Theologie, der in Kürze neu besetzt werden wird, ist besonders der Homiletik, der Theorie medialer Kommunikation sowie der Diakonik gewidmet.
Als eine Einrichtung der besonderen Art darf der Interfakultäre Studiengang Religionswissenschaft gelten. Er wird organisatorisch von zwei Lehrstühlen getragen, von denen der eine an der Evangelisch-Theologischen Fakultät und der andere an der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft angesiedelt ist. Darüber hinaus wird ein breit gefächertes Lehrangebot anderer Disziplinen genutzt wie etwa aus der Sinologie und Indologie, der Semitistik und Jüdischen Geschichte, der Ethnologie, Soziologie etc. Methodisch in komparatistischer Weise verfahrend vergleicht die Religionswissenschaft in kulturwissenschaftlicher Perspektive die Kommunikationsfelder der Religionen in ihren historischen Darstellungsformen und Translationen. Forschungsschwerpunkt von Prof. Michael von Brück, dessen Lehrstuhl am Institut für Missions- und Religionswissenschaft eine der Säulen des Studiengangs bildet, ist die Religion des Buddhismus mit besonderem Blick auf sein Verhältnis zum Christentum, seine europäische Rezeption sowie auf die sozialen und mentalen Strukturen von Ethikdiskursen in buddhistisch geprägten Gesellschaften.
Im Vorwort einer Studie zu Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, die einige Jahre vor der Münchener Fakultätsgründung konzipiert wurde, hat Helmut Schelsky in programmatischer Absicht an ein Wort Wilhelm von Humboldts erinnert, wonach sich der Wert wahrer Wissenschaft daran erweise, den menschlichen Geist so zu bilden, dass er weder die Wirklichkeit unbefragten Autoritäten oder abstrakten Ideen unterwirft, noch der irrigen Annahme einer begriffs- und gedankenlos gegebenen Realität aufsitzt. Für Schelsky ergab sich daraus die Forderung, Wissenschaft selbstreflexiv, also so zu betreiben, dass einerseits das Bewusstsein ihres realen gesellschaftlichen Ortes in den Begriff ihrer selbst eingeht, andererseits ihre Herabsetzung zur bloßen Funktion gesellschaftlicher und insbesondere ökonomischer Interessen vermieden wird. Durch ihre spezifische Stellung im Spannungsfeld von Universität und Kirche sowie insbesondere durch die Thematik, die ihr aufgegeben ist, kommt der Theologie für die von Schelsky geforderte wissenschaftliche Selbstverständigung eine unverzichtbare Bedeutung zu. Diesen Anspruch hat die Münchener Evangelisch-Theologische Fakultät in ihrer vierzigjährigen Geschichte selbstbewusst und mit guten Gründen vertreten, und sie wird dies auch in Zukunft tun in der bewährten Verbindung von Traditionsorientierung und Innovationsoffenheit, durch interdisziplinäre Ausrichtung sowie in Form nationaler und internationaler Vernetzungen.
Im Verlauf ihrer vierzigjährigen Geschichte hat die Fakultät bemerkenswert viele Hochschullehrer hervorgebracht, die heute im In- und Ausland namhafte Professuren bekleiden. Unter den Graduierten sind zahlreiche Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dem außereuropäischen Bereich. Doch kann man sich, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch als Franke innerhalb der Münchener Fakultät sehr wohl fühlen. Jenseits ethnischer, sozialer oder sonstiger Schranken sind alle herzlich willkommen, die bereit und in der Lage sind, mit intellektuellem Eifer und dem nötigen Fleiß Theologie zu studieren, sei es im Haupt-, sei es im Nebenfach oder in welcher Form auch immer. Erfreulicherweise ist die Zahl der Studierenden nach einigen Jahren der Flaute in jüngster Zeit wieder im Wachsen begriffen. Eine engagierte Fachschaft trägt Erhebliches dazu bei, dass die Integration von Neuankömmlingen binnen weniger Tage gelingt.
Zu den Anfängen der Fakultät vgl. im Einzelnen: Jürgen Marder, Im Dialog um die Wahrheit. Die neue Evangelisch-Theologische Fakultät in: Ludwig-Maximilians-Universität München 1472-1972. Geschichte – Gegenwart – Ausblick (hg. v. B. Roegele), München 1972, 127-132. Seit Gründung der Fakultät werden an einigen Sonntagen im Semester jeweils um 11.15 Uhr Universitätsgottesdienste in St. Markus gefeiert. Der erste dieser Gottesdienste fand am 19. Mai 1968 unter der Leitung von Prof. Kretschmar statt. Nähere Auskünfte zu Zeitpunkt und Thematik künftiger Gottesdienste können am Lehrstuhl von Prof. Levin eingeholt werden, der derzeit das Amt des Universitätspredigers ausübt (http://www.evtheol.lmu.de/aktuelles/veranstaltungen/unigottesdienste/).