Forschungsspektrum
Es ist grundsätzlich äußerst schwierig, einigermaßen aussagekräftige Beschreibungen des Forschungsprofils einer ganzen Fakultät so zu treffen, daß sich alle ihre Mitglieder darin wiederfinden können. Gleichwohl kann man vielleicht einige sachliche und methodische Kennzeichen ausmachen, nach denen sich die Forscher der Evangelisch-theologischen Fakultät der LMU über ihre individuell unterschiedlichen Forschungsthemen, Forschungsinteressen und Forschungsschwerpunkte hinaus gemeinsam verbunden fühlen und die darum das Forschungsprofil der Fakultät als ganzer prägen.
Charakteristisch für dieses Forschungsprofil der Fakultät insgesamt ist erstens, daß alle Mitglieder ihre Forschungsaufgaben bestimmt sehen durch eine Sensibilität für die spezifischen Themen und Probleme der Theologie unter den religiösen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Bedingungen der Moderne und durch die Absicht, sich in ihren Forschungsleistungen zu beteiligen an der Erarbeitung einer Gestalt der Theologie, die diesen modernen Bedingungen gemäß ist.
Ein zweites, die Forschungsmethodik betreffendes Kennzeichen besteht in der Pflege eines historischen Denkens in dem Sinne, daß die Erschließung je konkreter Themen und Probleme sich über die Einsicht in deren Gewordensein aufbaut. Das gilt nicht nur für die historischen und exegetischen Disziplinen, sondern notierenswerterweise auch für die Systematische Theologie und für die Praktische Theologie in der Münchener Fakultät: Stets erfolgt die Annäherung an die jeweiligen Forschungsgegenstände im Modus ihrer historischen Kontextualisierung.
Drittens: Kontextualisierend verfährt alle Forschung in der Fakultät auch in weiteren Hinsichten. (a) Übereinstimmend ist die Absicht, Kontexte zu erschließen durch die Herstellung von Bezügen der Theologie zu nichttheologischen Wissenschaften in Geschichte und Gegenwart. Sowohl im theologiehistorischen Blick als auch im Blick auf aktuelle Herausforderungen ist eine die Binnenperspektive der Theologie überschreitende Herstellung von interdisziplinären Zusammenhängen und Gesprächspartnerschaften für alle Forschungsanstrengungen der Fakultät konstitutiv. (b) Des weiteren sind alle Forschungen geprägt von einer grundsätzlichen Wahrnehmungssensibilität für Interferenzen zwischen Christentum und Kultur. (c) Schließlich sind alle Forschungen bestimmt durch die problembewußte Offenheit für den kulturellen, religiösen und konfessionellen Pluralismus, in dem der Protestantismus sich in Geschichte und Gegenwart befindet.
Als zentrale und teils lehrstuhlübergreifende, profilbildende Forschungsfelder der Fakultät wird man erstens die philologisch und religionshistorisch gegründete, hermeneutisch reflektierte Exegese nennen können; zweitens die Schwerpunkte der kirchen- und christentumsgeschichtlichen Forschungen im Bereich der weltweiten Christentumsgeschichte und der Kirchlichen Zeitgeschichte; drittens das Interesse an der theologiehistorisch, kulturwissenschaftlich, philosophiegeschichtlich und religionsphilosophisch informierten Erschließung religionskultureller und theologischer Diskurse des neuzeitlich-modernen Christentums sowie an allen Fragen der ökumenischen Theologie; viertens die Auseinandersetzung mit Prinzipienfragen der Ethik ebenso wie mit aktuellen Problemstellungen angewandter Ethik im Horizont theologischer, technischer und naturwissenschaftlicher Perspektiven; fünftens die Beschäftigung mit bildungstheoretischen und bildungsdidaktischen Aufgaben im Spannungsfeld von Individuum, Kirche und Gesellschaft und sechstens den interreligiösen Dialog insbesondere mit dem Buddhismus.
In diesem teils zwar lockeren und weiten, jedoch als spezifisch erkennbaren Rahmen bewegen sich die Forschungsanstrengungen an den einzelnen Lehrstühlen, die nun – knapp zusammenfassend – vorgestellt werden sollen.
Auf dem Lehrstuhl für Altes Testament I setzt Professor Dr. Christoph Levin einen Forschungsschwerpunkt in der Geschichte und Religionsgeschichte des Alten Israel sowie in der Literaturgeschichte des Alten Testaments, insbesondere des Pentateuch. Hinzu kommt die Sammlungs- und Bearbeitungsgeschichte des Psalters. Daneben gelten zentrale Forschungsinteressen der Jahwereligion der israelitischen Königszeit im Kontext der westsemitischen Religionen.
Den Lehrstuhl für Altes Testament II hat Professor Dr. Friedhelm Hartenstein inne. Seine Forschungen bemühen sich insbesondere um Religionsgeschichte Israels und des Alten Orients, mit einem Schwerpunkt auf der Ikonographie. Daneben galt das Forschungsinteresse der Theologie des Alten Testaments, insbesondere der Psalmen und der Prophetie sowie der Hermeneutik des Alten Testaments.
Der Lehrstuhl für Neues Testament mit der Ausrichtung auf Neues Testament und Antikes Judentum ist mit Professor Dr. Loren Stuckenbruck besetzt. Im Zentrum stehen hier Forschungen zur Literatur des (spät)antiken Judentums, insbesondere der Henochliteratur und religionsgeschichtliche Forschungen beispielsweise zur Apokalyptik, zur Angelologie und zur Dämonologie des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels.
Die Professur für Neues Testament mit besonderem Schwerpunkt Neues Testament und griechisch-römische Kultur wird von Professor Dr. David du Toit versehen. In seinen Forschungen richtet er das Augenmerk vor allem auf die religions- und kulturgeschichtliche Verankerung des frühen Christentums in den mediterranen Gesellschaften der römischen Kaiserzeit. Ein wesentliches Interesse seiner Forschungen gilt darüber hinaus der neutestamentlichen Lexikographie, etwa in grundlagenforschungsgestützten Projekten zur Revision des Griechisch-Deutschen Lexikons von Walter Bauer oder zum Aufbau eines griechischen e-Lexikons.
Auf dem Lehrstuhl für Kirchengeschichte II, der den Zeitraum vom Mittelalter bis zur Neuzeit umfaßt, liegen zentrale Forschungsschwerpunkte von Professor Dr. Harry Oelke im Bereich der Reformation bzw. des konfessionellen Zeitalters und der Kirchlichen Zeitgeschichte. So gelten die Forschungsleistungen hier insbesondere der Bedeutung der Medien im Kontext der Konfessionalisierung sowie im Zusammenhang der protestantischen Anfänge des öffentlichen Fürsorgewesens. Die Forschungsarbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte betreffen Kirche und Nationalsozialismus, kirchliche Erinnerungskultur nach 1945 sowie Protestantismus und deutsche Gesellschaft 1945-1990 und werden in enger Kooperation mit der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, deren Vorsitz Harry Oelke wahrnimmt, realisiert.
Das Verhältnis von Protestantismus und Gesellschaft in der Gegenwart steht im Zentrum der Forschungen von Professor Dr. Reiner Anselm und seiner Mitarbeitenden am Lehrstuhl für Systematische Theologie und Ethik. Fragen der politischen Ethik, nach der Rolle des Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik sowie der gesamte Bereich der Medizin- und Bioethik bilden die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit. Daneben gilt das Interesse der Rolle der Kirche in der Gegenwart sowie der Erforschung der Theologiegeschichte der Nachkriegszeit.
Die Forschungen am Lehrstuhl für Praktische Theologie I, den von Professor Dr. Christian Albrecht innehat, betreffen insbesondere die Prinzipienlehre, die Geschichte sowie die Enzyklopädie der Praktischen Theologie, die Homiletik und die Publizistik. Außerdem werden auch Fragen des Verhältnisses von Theologie und Religionswissenschaften sowie des Verhältnisses von Praktischer Theologie und Ethik in theologiehistorischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive bearbeitet.
Professor Dr. Ulrich Schwab hat den Lehrstuhl für Praktische Theologie II mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik inne. Seine Forschungsarbeiten betreffen neben allen Fragen der Religionspädagogik vor allem die Didaktik des Religionsunterrichtes, die evangelische Jugendarbeit und die gesellschaftlichen, religiösen und kirchlichen Rahmenbedingungen des Verhältnisses von Jugend und Kirche. Am Lehrstuhl ist die Forschungsstelle „Jugend und Kirche“ angesiedelt, deren Leitung Ulrich Schwab innehat.
Näheres siehe im Forschungsbericht,
Forschungsdekan Prof. Christian Albrecht